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bookmark_borderFortschreitende Nächte
Vielleicht wird es aber irgendwann doch noch fortschrittlich genannt werden, grundsätzlich zu bezweifeln, dass wer auch immer eine Legitimation habe oder gehabt hätte, zu behaupten oder gar zu entscheiden, dass auf der mehr und mehr verlängerbaren Reise – (was „natürlich“ / „an und für sich“ ebenfalls als Fortschritt gilt) – nicht nur der Menschen, sondern jedes einzelnen Individuums, unaufhörlich vorangeschritten werden müsse, und diese ganze Angelegenheit auf jeden Fall und „sehr gern“ immer angenehmer zu werden habe?
„…und die Wahrheit wird so lange Märtyrer machen, als die Philosophie noch ihr vornehmstes Geschäft daraus machen muss, Anstalten gegen den Irrtum zu treffen.“
(Friedrich Schiller: „Über die ästhetische Erziehung des Menschen – Sechster Brief“)
bookmark_borderUnglaubliche OLYMPIA-NACHT (ARD-Sportreporter berichten Unglaubliches, manchmal sogar Unfassbares)
eine unglaubliche Gewalt – eine unglaubliche Runde
ein unglaublicher Vorsprung – ein unglaublich guter Springer
unglaublich effizient – unglaublich emotional
unglaublich gute Form – unglaublich geweint
sie kann unglaublich puschen – sie ist unglaublich versiert
eine unglaubliche Kulisse – eine unglaubliche Vorfreude
eine unglaubliche Hektik – eine unglaubliche Offensivkraft
ein unglaublicher Freistoß – eine unglaubliche Parade
unfassbares Pech – ein unfassbarer Stürmer
eine unfassbare Konstanz“
(alle Zitate aus einer Olympia-Nacht – eine Auswahl)
Nebensachen I – oder über das Unwesen des Nicht-Wirklichen und Unglaublichen:
Die gleichzeitige Verneinung dessen, was als „wirklich“ behauptet wird, schließt den Verneinenden, als nicht wirklich Verneinenden, mit ein, der jedoch nicht – als Teil des Negierten – logisch gültige und sinnvolle Urteile über ein, seines falschen Sprachverständnisses geschuldeten, „nicht wirklich Seiendes“ abgeben kann. Wer also behauptet, etwas sei nicht wirklich scharf, spannend oder aufregend…oder was auch immer, redet in Wirklichkeit großen Blödsinn. Und die Übersetzung des englisch-amerikanischen „not really“ lautet in Wirklichkeit: „eigentlich nicht“ bzw. „nicht direkt“.
Diametral zu seiner sprachlichen Beschwörung kann hingegen über wahrhaft Unglaubliches immer seltener berichtet werden. Allenfalls noch zu finden ist es in sehr alten Büchern wie der Bibel, dem Koran oder den neueren religionsähnlichen Veröffentlichungen, sowie in all den Autobiografien von Politikern oder Filmstars; am wahrhaftigsten jedoch in Kriminalfilmen, wenn es an einer Stelle – wie (fast) immer – heißt: „Das müssen Sie mir glauben.“
Wer (s)einen Gott nicht liebt, muss auch dem nicht etwas antun, der ihn auch nicht liebt.
bookmark_borderFlüchtige Begegnung (Eine GuteNachtGeschichte)
In ihr Notizbuch, das, jederzeit griffbereit, auf dem Nachtisch lag, und worin sie von Zeit zu Zeit ihre Nachtgedanken einträgt, um sie aufzuheben, schrieb sie, mit schnell gleitendem Bleistift und durch nur noch halbgeöffnete Augenlider blinzelnd mitlesend, beinahe schon in den Morgen hinein:
„Lass einfach zu, lass nur…
beim Anblick unverschämter, blauer Nacht,
die kinderleicht, ein müder Hauch,
sich auf das schneebedeckte Viertel legen will.
Lass es…
wenn dich die Leere anfällt
ganz zügellos, im späten Sternenlicht der Stadt,
lass es geschehn.“
(c) L. N. München 2016
(FÜR M.)
bookmark_borderNachtZeichenSetzungen
Wirklich radikales Denken kann demzufolge nicht anders (und kommt am Ende nicht darum herum), als auf der Fragwürdigkeit jedweder Moral, Religion oder gar „fester Überzeugungen“ zu beharren und die grenzenlose Legitimation jeder Staats- oder Gesellschaftsform sowie staatlichen Rechtssprechung zu bezweifeln. Für alles Weitere hierzu könnte, auch 150 Jahre nach ihrem Erscheinen, aus den Schriften Friedrich Nietzsches seitenweise zitiert werden. Ob er selbst genug an dem zweifelte, was ihm wahr erschien, ist – jedenfalls aus heutiger Sicht – eher unerheblich.
„Neulich dachte ich…wenn ich mal nicht mehr bin; wer denkt das denn alles zu Ende?“
(Piet Klocke – Kabarettist und großartiger Redner)
GRAB-STEIN
Sie sind nicht mehr!
So nennst du Menschen, die gestorben sind.
Doch sag: Sind diese Steine dort nicht da,
ganz so wie die, die hier begraben sind?