bookmark_borderToten-Nächte

Aufhören! Bitte, hören Sie auf, Herr Bundespräsident! Hören Sie auf mit Ihrem viel zu späten Wehklagen, angesichts von weit mehr als 50.000 Corona-Toten. Wie so viele andere Zahlen, verdeckt auch diese die Wahrheit mehr als dass sie sie ausspricht.

Neun von zehn dieser Toten in unserem Land waren (und sind) Menschen über 70.

Warum haben Sie Ihre Stimme nicht energisch erhoben, Herr Bundespräsident, als sich gleich zu Beginn der Pandemie abzeichnete, dass v.a. die alten Menschen in den Heimen und Pflegeeinrichtungen von der davon mit dem Tod bedroht sind? Warum haben Sie da nicht einen nach wie vor selbstgerechten Gesundheitsminister ermahnt, sich verstärkt und vorrangig um diesen Teil der Bevölkerung zu kümmern? Wie kann es sein, dass einzig ein Tübinger und ein Rostocker Bürgermeister die Ärmel hochgekrempelten, um wenigstens in ihrer Stadt das Schlimmste zu verhindern?

In meiner Heimatstadt Berlin wurde während meiner Kindheit damit begonnen, zur Adventszeit Lichter in die Fenster zu stellen, um an die Verwandten und Freunde, die „Brüder und Schwestern“ im anderen Teil der Stadt zu erinnern. Später hat sich dann, als einer der Ersten, Ihr ehemaliger Parteifreund, Willy Brandt dafür eingesetzt, die Teilung zu überwinden.

Sorgen Sie bitte dafür, Herr Bundespräsident, soweit es in Ihrer Macht steht, dass endlich DIE ALTEN besser geschützt werden! Allein schon deshalb, damit die Lichterfenster für etwas stehen, das sich nicht nur in wohlfeilem Mitgefühl ausdrückt.    

bookmark_borderUnberücksichtigt gebliebene Unworte der Jahre 2015/16 ff.

Unglaublich – unfassbar – spannend – sehr gern – nicht wirklich – definitiv – ich freu‘ mich auf Sie – wenn Sie mal schauen wollen – schön, dass Sie bei uns sind – soziale Netzwerke – danke für die Einschätzungen – das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet – was ich Sie gern fragen möchte – mit der Bitte um eine kurze Antwort – wahnsinnig interessant – ein Stück weit – an dieser Stelle – am Ende des Tages – meine lieben Zuschauer – schön, dass Sie da sind – Sicherheitsarchitektur – zukunftsfähig – zutiefst überzeugt – Wetter-Update – minutengenauer Stauzeitrechner – Hauptsache, ihr habt Spaß…

Nebensachen I: Es gehe (ihr) einzig und allein darum, dass man die Welt in die Sprache zwingt.“ – Eva Strittmatter (8.2. 1930 – 3.1. 2011), in einem Gespräch einer FS-Dokumentation zu ihrem 80. Geburtstag.

Nebensachen II: Der Punkt ist unnötig; er widerspricht den Gedanken-Gebilden, in denen er nicht vorkommt. Er befördert, erzwingt manchmal sogar, Sätze zu beenden, die noch nicht zu Ende sind. Er bremst das Fließen der Gedanken und staut die Wörterflut, sodass sie sich zurückzuweichen genötigt sehen und oft unwiederholbar verloren gehen. Warum also gibt es dann diesen Punkt? Anders als seine Geschwister, Ausruf- und Fragezeichen, ist er in der mündlichen Umgangssprache explizit so gut wie unhörbar. Beim Versuch, die Satzzeichen mitzudenken, stellen sich diese, unmittelbar und sperrig, dem Denken in den Weg; der Vorgang der Transformation in die Schriftsprache scheint dann aber für die kopfgesteuerte Hand, unbewusst und automatisch , zu bedeuten, sofort auf Zeichensetzung umzustellen Und wenn dieser Prozess erst mal läuft fällt es überaus schwer diese verrückten Zeichen plötzlich wegzulassen

bookmark_borderUnglaubliche OLYMPIA-NACHT (ARD-Sportreporter berichten Unglaubliches, manchmal sogar Unfassbares)

„eine unglaubliche Spannung – ein unglaublicher Ballwechsel

eine unglaubliche Gewalt – eine unglaubliche Runde

ein unglaublicher Vorsprung – ein unglaublich guter Springer

unglaublich effizient – unglaublich emotional

unglaublich gute Form – unglaublich geweint

sie kann unglaublich puschen – sie ist unglaublich versiert

eine unglaubliche Kulisse – eine unglaubliche Vorfreude

eine unglaubliche Hektik – eine unglaubliche Offensivkraft

ein unglaublicher Freistoß – eine unglaubliche Parade

unfassbares Pech – ein unfassbarer Stürmer

eine unfassbare Konstanz“

(alle Zitate aus einer Olympia-Nacht – eine Auswahl)

Nebensachen I – oder über das Unwesen des Nicht-Wirklichen und Unglaublichen:

Die gleichzeitige Verneinung dessen, was als „wirklich“ behauptet wird, schließt den Verneinenden, als nicht wirklich Verneinenden, mit ein, der jedoch nicht – als Teil des Negierten – logisch gültige und sinnvolle Urteile über ein, seines falschen Sprachverständnisses geschuldeten, „nicht wirklich Seiendes“ abgeben kann. Wer also behauptet, etwas sei nicht wirklich scharf, spannend oder aufregend…oder was auch immer, redet in Wirklichkeit großen Blödsinn. Und die Übersetzung des englisch-amerikanischen „not really“ lautet in Wirklichkeit: „eigentlich nicht“ bzw. „nicht direkt“.

Diametral zu seiner sprachlichen Beschwörung kann hingegen über wahrhaft Unglaubliches immer seltener berichtet werden. Allenfalls noch zu finden ist es in sehr alten Büchern wie der Bibel, dem Koran oder den neueren religionsähnlichen Veröffentlichungen, sowie in all den Autobiografien von Politikern oder Filmstars; am wahrhaftigsten jedoch in Kriminalfilmen, wenn es an einer Stelle – wie (fast) immer – heißt: „Das müssen Sie mir glauben.“

Nebensachen II

Wer (s)einen Gott nicht liebt, muss auch dem nicht etwas antun, der ihn auch nicht liebt.

bookmark_borderIn der NebenSache JBM (Ein NachtKommentar + Nachtrag)

Der Autor des derzeit mit großem Erfolg auf den deutschen Bühnen und in den öffentlich-rechtlichen Anstalten gegebenen Schauspiels, mit dem Titel „Jan Böhmer Mann“ (von und mit Jan Böhmermann u.v.a.m.), wollte selbstverständlich keineswegs mit den Äußerungen, die er seiner gleichnamigen Hauptfigur in den Mund legte, den türkischen Staatspräsidenten auch nur im Entferntesten beleidigen. Die Absicht des Stücks und seines Verfassers besteht einzig und allein darin, in eklatanter Weise zum Vorschein zu bringen, auf welch hohen moralischen und geschmacklichen Werten die Politik der Bundesrepublik Deutschland basiert und zugleich zeigen, mit welch verantwortungsvoller (Hand)Haltung diese Werte in politisches Handeln fließen.
                Etwas anderes kann ich mir jedenfalls, auch nach mehrmaligem Besuch einer der Vorstellungen und bei bestem Willen, nicht denken. Und dies ist ihm, finde ich, ganz hervorragend gelungen

                Aufgrund diverser anderer, wichtiger Verpflichtungen leicht verspätet, hat nun endlich auch das deutsche Staatsoberhaupt das Werk begutachten können und, mit aller Bescheidenheit, daran erinnert, dass doch einem demokratisch gewählten Präsidenten „mindestens so viel Ehrerbietung“ zustehe wie einem König. Für die Ermöglichung einer solchermaßen erhellenden Klarstellung ist Herrn Jan Böhmermann sehr zu danken.

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Nachtrag:

                In der zwischenzeitlich im DTF-Verlag (Verlag für deutsch-türkische Freundschaft) erschienenen und binnen weniger Wochen in sämtlichen bundesrepublikanischen Bestsellerlisten auf Platz 1 gehandelten Bühnenfassung des Stücks hat der Autor, Jan Böhmermann, eine so originelle, wie die Publikumswirkung nochmals fördernde, zusätzliche Szene eingefügt, in der die gleichnamige Hauptfigur mit einer per Gerichtsurteil verkündeten „Einstweiligen Verfügung“ konfrontiert wird, die dem Autor, also J.B., nahelegt, einige Text-Passagen des Protagonisten zu streichen. Andernfalls wäre mit einer Geldstrafe von bis zu 250.000 Euro bzw. maximal sechsmonatiger Haft (allerdings nur in deutschen Gefängnissen) zu rechnen.

Wie gesagt, und weil es angesichts der Realitätsnähe des Ganzen in Vergessenheit geraten könnte: Es handelt sich hier selbstverständlich um Fiktion, um nichts anderes. Deshalb soll und darf natürlich nicht verraten werden, wie sich „Jan Böhmer Mann“ entscheidet, oder ob und wie er die drohenden Strafen annimmt – für psychologische Hoch-Spannung ist jedenfalls weiterhin gesorgt.

                Mit dieser Maßnahme hat der Autor in sehr dankenswerter Weise schließlich auch dafür gesorgt, dass sozusagen: „im Namen des Volkes“, der dritten Gewalt unserer stets wehrhaften Demokratie der ihr, wie dem Herrn Bundespräsidenten sowie all den anderen königlichen Hoheiten zustehende Respekt erwiesen wird.