bookmark_borderNächtliche Wahr-Nehmungen

Das Öffnen der von innen verschlossenen Fenster von außen ist selten ohne Gewaltanwendung möglich und sollte nur dann erlaubt sein, wenn Hilfe erwünscht oder Leben zu retten ist.
Die Gedanken ergreifen dich, wann immer du sie aufgreifst und begreifst, dass wir unzertrennlich sind, wir die Gedanken und du, so lange es uns gibt und durchaus so, wie gute Freunde, Gefährten und manchmal sogar Liebende.
Alles, was sich innerhalb der Bedingungen der uns (den Menschen) bekannten Natur- und daraus abgeleiteten Bewegungs-Gesetzen der Geschichte ereignen kann, ist mögliche Weltwirklichkeit. Davon nimmt jeder einen (unterschiedlich) kleinen, ja minimalen Ausschnitt wahr; folglich kann jeder Einzelne, ehrlicherweise, auch nur diese Teil-Wirklichkeiten – mit relativer Sicherheit – für wahr halten.
Die Wahrheit täuscht sehr oft über ihre wahrhaftige Bedingtheit hinweg. Das hat sie mit dem Glauben gemeinsam.

Nebensachen: Im Hauptsatz befindet sich nur dem Namen nach Hauptsächliches; was der Fall ist, also was ausgesagt, berichtet oder erzählt werden soll, enthalten die Nebensätze, manchmal auch die Anmerkungen. (Allergrößtes Augenmerk erfordert überdies, was dann noch so alles in den Klammern geschrieben steht.)    

Was wäre, wenn es anders gekommen wäre…? Wenn es anders gekommen wäre: Hätte ich dann vielleicht keinen Grund oder Anlass gehabt oder erfunden, um die Frage danach zu stellen, was (und wie etwas) wäre, wenn es anders gekommen wäre? Jede Antwort darauf ist durchaus nicht völlig sinnlos, weil sie mit einbeziehen muss, dass sie allenfalls eine Wahrscheinlichkeit zum Maßstab ihrer Richtigkeit machen darf. So wie dieser Satz lediglich eine mögliche Folge davon ist, dass es so gekommen ist.

Und weil doch nun einmal fast alles oder jedenfalls sehr vieles auch anders sein könnte, als es gekommen oder geworden ist: Ist es dann nicht sehr erstaunlich, welch großes Interesse überall besteht, rast- und ruhelos danach zu fragen und zu suchen, warum und wie etwas “ausgerechnet so” geschehen konnte, dass es gerade so, usw. kommen musste….?

Was ist (oder war), ist viel seltener notwendig, als es scheinen mag. Es lebt sich eben unbeschwerter, im festen Glauben an Notwendigkeiten oder sog. “Folgerichtigkeiten”; sonst würde der “Konjunktiv der Möglichkeiten” (!) vielleicht zu psychischen Störungen führen, mangels Sicherheit bzw. Verlässlichkeit von “Wahrheiten”.

Nebensachen: Das Suchen und Finden von Worten zur Beschreibung starker, bewegender und intensiver Gefühle oder Stimmungen ist in der Lage, sich selbst in ein so starkes Empfinden zu verwandeln, dass Anlass und Ursache des Vorhabens in Vergessenheit geraten und die Wort-Findung plötzlich eine Art Eigenleben gewinnt, in dem gefunden wird, wonach gar nicht gesucht wurde.

bookmark_borderNa “und…”

Gibt es in allen anderen Sprachen ein Wort, eine Geste oder ein Zeichen, das dem, was wir mit dem Wörtchen “und” bezeichnen, entspricht? Und wenn dies nicht der Fall ist: Wie kann ich ohne weiteres sagen, dass es in der Wirklichkeit überhaupt irgendetwas (also das “und” real Repräsentierendes) gibt, was mit dem durch “und” Bezeichneten in Zusammenhang zu bringen wäre? Wäre es nicht möglich, dass das “und” zwischen “da und dort” einfach nur da ist, gänzlich sinn- und grundlos? Na und?
Wenn es in irgendeiner Sprache für eine Sache, welche den Menschen dieser Weltgegend völlig unbekannt ist, (weil sie dort auch nicht existiert!), auch kein Wort gibt: Wie könnte ich dann aber den dort Lebenden beweisen, dass es  diese Sache tatsächlich gibt, wenn ich doch nicht darauf zeigen kann? Müssten sie es nicht erst mit EIGENEN AUGEN SEHEN, um das Behauptete für existierend erklären zu können?

Was sind also die Bedingungen, unter denen das, was in den Vorstellungen der Menschen existiert, für “tatsächlich existent” angesehen werden kann? Wie kann ich wissen, was ich alles nicht weiß?

Zeigt nicht die Sprachverwirrung, die bei Übersetzungen von einander sprachhistorisch nicht benachbarten Sprachen unvermeidlich entsteht, dass es als BEGRIFFENE oder BEGREIFBARE WELT keine Welt und auch kein Weltgeschehen darin geben kann, die und das allgemeingültig oder allgemeinverbindlich wären.

Der Zauberer betrügt nicht; vielmehr beweist er (uns), dass alles auch ganz anders sein könnte, als wir zu glauben gewöhnt wurden und sind. Und so lange die Tricks verborgen bleiben, genießen wir seine Welt mit all den Wundern. Wann sonst wäre das Wörtchen “wundervoll” ähnlich angebracht wie hier?

bookmark_borderDIALOG der FREUNDE der FRAGEN

Was für ein ES mag ES sein, welches auch in dir sich manchmal äußert?

                Egal, so wird ES nun einmal genannt.

Und welches ist ES gleich noch, wenn ES dunkel wird?

                Bestimmt nicht dasselbe, als ob ES regnen würde.

Oder, als wenn ES schreit. (lacht) Wie kann ES sein, dass ES so viele davon gibt?

                ES war einmal…

Wie? ALLES wird einmal gewesen sein?

               Was sonst? Schließlich ist auch “ewig” ganz so wie “alles” nichts als ein Wort,

belanglos wie jenes, das als das “Nichts” in die Welt kam, oder sollte ich

hinzufügen: ohne je zur Welt gekommen zu sein?

Und nur (ein) Gott weiß, wozu ES da ist?

Wozu sollte er ES wissen?

Vielleicht weiß (ein) Gott sogar auch das?

                Gott weiß nichts, so weit wir wissen.

                                  * * *

“Das Angebot, dich nicht anzustrengen – nicht nur weise es zurück; fordere selbst die

Anstrengung.” (Seneca)

Die Sehnsucht ist fast immer die unerhörte Klage und so Patin und Mutter aller

Süchte.

bookmark_borderUNHEILIGE Nächte

Von Zeit zu Zeit ist größtmögliche Stille im Kopf und dessen unmittelbarer Umgebung so erwünscht wie notwendig, um vielleicht dem Unbegreiflichen wenigstens (?) Töne entlocken zu können, da es sich schon ein- für allemal jenseits des Vorstellbaren, jedenfalls in weiter Ferne, jeglichen Blicken entzogen zu haben scheint.

Dann mag es über kurz oder (lieber noch) lang geschehen, dass fast wie von selbst eine Art Versuchsanordnung entsteht, darin, ähnlich wie beim Schachspiel, mit den Hirnströmen und dem, was sie mitzuführen imstande sind, intuitiv und in selbst-bestimmter Weise experimentiert werden kann, um gedanklich möglichst oft früher, zumindest aber rechtzeitig, an den wichtigen Brennpunkten zur Stelle zu sein, als all die vorgestellten Gegner, Verhinderer und Feinde des geglückten Lebens.

Ohne Angst kein Leben, gefangen und frei, befreit und befangen im lebenslangen Aus-dem-Weg-Schieben der kleinen und größeren Ängste, fast immer unvorhersehbar, unerhofft in jedem Fall – nichts natürlicher, wenig unbezweifelbarer als all die Stufen, Grade und Variationen jener elementaren ANGST VOR DEN ABGRÜNDEN?

Und gleichzeitig, und dennoch: Das wieder und wieder sich wiederholende Aufsuchen jener verlockenden Orte und Gegenden, die sich – für alle Fälle! – bereit zu halten scheinen, um den großen Sprung, ein unbefreites Hinabstürzen, immerhin zu ermöglichen.

So entdeckt (oder markiert) die Angst am deutlichsten das Leben als ein höchst riskantes Spiel, mit dem Unterschied zu anderen, dass dieses – zuende gespielt – nur Verlierer vom Feld schleichen lässt. Bis dahin werden Mitspieler dringend benötigt, nicht zuletzt, um die Gegenspieler abzulenken, weil nur so die eine oder andere Partie zu gewinnen ist.

Was wäre eigentlich verloren, wenn als Ergebnis konsequenten Denkens oder unbestechlichen Philosophierens schließlich kaum mehr bliebe, als die Hoffnung, die ganze Anstrengung des Begriffs und Begreifens könnte sich wenigstens insofern gelohnt haben, um für möglich zu halten, dass es sich in seinen wesentlichen Ergebnissen doch geirrt haben möge?

“Wer nicht verzweifeln kann, der muss nicht leben.” (Johann Wolfgang von Goethe)

bookmark_borderNachtgespräch der Freundinnen

Nacht: Findest du nicht, dass viel zu viel (und viel zu oft völlig grundlos) von dir und in deinem Namen gesprochen wird?

Wahrheit: Mag sein, aber wie es aussieht, genügt es nicht mehr, dass alles Mögliche einfach nur da ist; es muss auch wahr sein, damit es geglaubt werden kann. Und wenn dann erst mal so ein richtig fester Glaube entstanden ist, kommen immer mehr Wahrheiten hinzu…

Nacht: …und dann wird wahr gemacht, was später niemand mehr wahr haben will, nicht wahr? Aber nun sag endlich: Was an dir ist denn nun das Wahre, das ein jeder unbedingt glaubt, verkünden zu müssen?

Wahrheit: Alles, alles ist wahr bei mir, seit jeher, so wie alles frei ist bei der Freiheit oder schön bei der Schönheit…

Nacht: …schon gut! Aber du sagst ja selbst, dass es so viele Wahrheiten gibt, täglich neue?

Wahrheit: Ich sage nur, dass die Wahrheit wahr ist – nicht mehr und nicht weniger.

Nacht: Und woher weißt du das und wie bist du zu diesem Wissen gekommen?

Wahrheit: Ich weiß es allein durch mich selbst, allerdings nicht, auf welche Weise dies geschehen ist.

Nacht: Und das ist wirklich wahr?

Wahrheit: Aber ja – wie könnte ich lügen?

Nacht: Die Wahrheit kann nicht lügen?

Wahrheit: Wer weiß? Wenn alles möglich ist, dann ist es natürlich auch möglich, dass…

Nacht: …nicht alles möglich ist, ich weiß. Aber das ist jetzt alles bestimmt wieder nur eines deiner Sprachspiele, nicht wahr?

Wahrheit: Klar, was sonst?

Nacht: Jetzt mal im Ernst: Kannst du nun lügen oder nicht?

Wahrheit: Wenn’s der Wahrheitsfindung dient?

“Jener gute alte Grieche (Lysander = 4. Jh. v. Chr.) sagte, die Kinder spielten mit Knöchelchen und die Männer mit Worten.” 1)

“…dass ich nur als ein Fragender und Unwissender spreche…Ich lehre nicht, ich berichte.” 2)

1) 2) Michel de Montaigne: “Essais” Manesse Verlag, Zürich 1992 (8)