bookmark_border25 Jahre Deutsche Oktober-Revolution

Mit zutiefst empfundener Bewunderung und Ehrfurcht, sehr geehrter Herr Bundespräsident und hochgeschätzter Freiheits- und Widerstandskämpfer, habe ich Ihren so klug und, wie immer angemessen gewählten, ja: auch bewegenden Worten am 9. Oktober im Leipziger Gewandhaus, anlässlich des Festakts zur 25-jährigen Wiederkehr der friedlichen Revolution in der DDR gelauscht. Und sofort waren mir all die Bilder der Leipziger Montagsdemonstrationen vor Augen: Wie Sie, manchmal sogar an der Seite unserer Frau Bundeskanzlerin, nur mit brennenden Kerzen bewaffnet, sich in vorderster Reihe an die Spitze des aufbegehrenden Volkes der DDR wagten, stets mutig der Gefahr ins Auge schauend, wie viele andere Revolutionäre, verhaftet und viele Jahre eingesperrt zu werden.
Aber auch lange vor den Tagen des Oktobers und Novembers 1989 haben Sie sich tatkräftig für all die verfolgten Bürgerrechtler und / oder Schriftsteller wie Rudolf Bahro, Jürgen Fuchs oder Erich Loest eingesetzt. Auch wenn Sie dabei nicht immer erfolgreich waren, ist es Ihnen immerhin gelungen, eine Ausreise Ihrer Söhne durchzusetzen, die sogar als Besuch bei Ihnen in Rostock wieder einreisen durften.
Nein, Herr Bundespräsident, Sie gehören nicht zu den sog. „Wendehälsen“; denn auch nach der Wiedervereinigung haben Sie als Leiter der „Behörde für die Stasi-Unterlagen“ viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter dort weiterbeschäftigt. Schließlich kannten die sich am allerbesten aus, was dann allerdings und leider von Wolf Biermann und Jürgen Fuchs kleinlich moniert wurde; ja sogar im Roman von letzterem zum Untertitel „Die Firma VEB Horch und Gauck“ (1999) führte.

 

Man kann es eben nicht immer allen recht machen. Wie sehr Sie dennoch unbeirrt für die Minderheiten unseres Landes eintreten, zeigten Sie ein weiteres Mal eindrucksvoll, als Sie den, v.a. von der linken Presse überall diffamierten Thilo Sarrazin für den Mut lobten, seine sozialdarwinistischen Thesen öffentlich zu propagieren. Loben möchte ich Sie zu guter Letzt nun auch noch einmal nachdrücklich dafür, dass Sie das größer und ökonomisch immer stärker gewordene Deutschland erst kürzlich dazu ermunterten, eine bedeutendere Rolle in der Welt – ja, auch: militärisch – anzustreben. Und wenn – im schlimmsten Fall – dann wieder Särge aus den Kriegsgebieten dieser Erde in die Bundesrepublik eingeflogen werden, weiß ich jedenfalls, dass Sie immer, wirklich immer die richtigen Worte finden werden, um unser aller zutiefst empfundenes Mitgefühl zu bekunden, nicht wahr?

 

„Man kann den Staat nicht hinter sich lassen, indem man ihn verlässt.“
Volker Braun: „Wir befinden uns soweit wohl. Wir sind erst einmal am Ende. Äußerungen“
Frankfurt / Main 1998 (Suhrkamp Verlag)

bookmark_borderSprachspiele

Beim Spiel mit der Sprache ist stets damit zu rechnen, dass die Sprache, als vorläufiges Resultat aller bisherigen Sprecher und Schreiber, durchaus aktiv mitspielt. Sie fordert schiefe Vergleiche heraus, verleitet zu unangemessenen Übertreibungen, mehr oder weniger gelungenen Zweideutigkeiten, mitunter sogar zu armselig-albernen Wortspielen (von Komikern wie Willy Astor) oder sie lässt Lügen (nicht nur von „Personen des öffentlichen Lebens“) allein schon anhand der Formulierung als solche erahnen. Die Sprache überzeugt eben auch – und nicht zuletzt – in ihrer Rolle als raffinierter Spielverderber.
Was heute richtig ist oder dafür gehalten wird, kann schon morgen falsch sein oder dafür gehalten werden. Und wenngleich diese Plattitüde längst jedem klar sein sollte (oder wenigstens könnte), wird das von Politikern jeglicher Couleur aktuell für richtig Gehaltene gern als die („alternativlos“) einzig mögliche Wahrheit verkündet,  welche die Verkündenden dann, selbstredend (also: sich selbst zuredend…) und um jedweden Zweifel schon im Voraus für unzulässig zu erklären, zusätzlich noch als ihre „feste Überzeugung“ ausgeben. Dass eine „feste Überzeugung“ weder etwas über den Wahrheitsgehalt noch über die Richtigkeit einer Behauptung auszusagen vermag, gerät angesichts der geradezu inflationären „festen Überzeugungen“ im politischen Tagesgeschäft zunehmend aus dem Blickfeld.

Und so kommt es, wie es kommen muss: dass ständig irgendwelche Politiker – mit jedem Recht auf Wahrhaftigkeit – als Lügner oder (Wahl)-Betrüger bezeichnet werden dürfen.

„Wir müssen erkennen, wie die Sprache für sich selbst sorgt.“

(Ludwig Wittgenstein: Tagebücher 1914 – 16, Hervorh. i. Orig.)

bookmark_borderFalschspieler

Im "Dokumentar"-Film (egal ob als Porträt, Bericht oder Reportage usw.) kommt, bis auf wenige Ausnahmen, die Realität vorwiegend als inszenierte zu Wort und Bild. Weder dokumentiert der Dokumentafilmer, noch filmt er (in der Regel). Inhalte, Protagonisten, Drehorte und Aufnahmestil (Einstellungen usw.) werden im Vorfeld (teilweise recherchiert von Co-Autoren, Praktikanten oder Aufnahmeleitern) bzw. unmittelbar vor Drehbeginn besprochen. Die Kamera zeigt dann, aus einer bestimmten Perspektive, was im jeweils gewählten Bildausschnitt sichtbar ist. Sie zeigt nie die Wirklichkeit, wie sie ist (oder zum Aufnahmezeitpunkt war) sondern eins von (unendlich?) vielen möglichen Abbildern. Auch die Realität des Bilder-Machens mit einer weiteren Kamera zu filmen, wie es inzwischen, v.a. bei FS-Interviews, Mode geworden ist, ändert daran nichts. Es entstehen immer nur Abbilder von Abbildern von Abbildern… usw.

Schnitt, Endbearbeitung und Vertonung komplettieren die, zwar objektiv notwendige, aber eben nicht als solche erkennbare Fälschung. Was also – mit falschem Etikett versehen – am Ende dem   (FS-)Publikum vorgeführt wird, ist die Vorspiegelung falscher Tatsachen im Wortsinn.

Was sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ereignet oder geschieht, was also der Fall ist, lässt sich objektiv nicht darstellen. Die Wirklichkeit als eindeutige (und objektiv vermittelbare) Abfolge von Tatsachen existiert nur als (intersubjektive) Idee oder Vorstellung; in Wirklichkeit existiert die Wirklichkeit objektiv genauso wenig wie die Welt oder gar die Wahrheit.

Je ungeklärter (weil abstrakt und folglich vieldeutig) solche und ähnliche Begriffe wie  Freiheit, Glück, Vernunft oder Nachhaltigkeit notwendigerweise sind, desto irrealer, unbegreiflicher und unfassbarer werden sie – sehr zur Freude der vielen Verfasser öffentlicher Reden. Und im Handumdrehen entsteht daraus jederzeit und überall der Stoff, mit dem all die Dampf-Plauderer und Sonntagsredner glauben, ihre sinnentleerten Texte garnieren zu müssen.


"Sei selbst dein Trost." Hölderlin: "Hyperion"     

bookmark_borderFälschungen

„Sehen Sie dazu einen Bericht von…“ (ver)spricht die Stimme der Fernseh-Moderatorin. Was dann folgt, ist immer häufiger ein unverdaulicher Bildersalat. Mit Hilfe des Schnittcomputers werden der Zug der Wolken, das Gehen und Laufen, sogar – mehr und mehr – ganze Handlungsabläufe beschleunigt. Der „Schnitt“ gehorcht dem einfältigen Marionettenspiel der Fernseh-Autoren und ihrer Gehilfen, die nicht mehr fähig sind (oder sein wollen), das eigene Marionetten-Dasein innerhalb eines Systems zu erkennen (geschweige denn: zu durchschauen), in dem alles immer schneller gehen muss, damit möglichst niemand mehr die Ruhe finden möge, nach dem Grund oder Sinn all der Veranstaltungen zu fragen, in denen die Realität als Video-Clip erscheinen soll – allenfalls beurteilbar mit: mag ich / mag ich nicht…

 

Je größer und diffuser das Pseudo-Wissen und die Halbwahrheiten tagtäglich werden, desto mehr „Hirschhausens“ und „Fröhlichs“ scheinen sich, protegiert durch TV-Sendungen, in denen sie gleich selbst für sich werben (dürfen), aufgefordert zu sehen, mit ihrem bürgerlichen Halbwissen, unter Verwendung eines dementsprechenden Halbgebildeten-Jargons (in dem alles Mögliche für „nicht wirklich, definitiv, unglaublich“ oder „spannend“… erklärt wird), ganze Bücher zu füllen. Die zeitgenössische Bestseller-Listen-„Literatur“ verdankt sich in weiten Teilen einem kybernetischen System der geschwätzigen Beliebigkeit, bezahlt von all den vielen (im sehr wahren Sinn) für dumm verkauften Lesern.

 

Müsste nicht (endlich einmal) davon erzählt werden, dass äußerst wenig von dem, was in der Realität (insbesondere jener der vielen selbsternannten „Autoren“) geschieht, erzählenswert ist?

bookmark_borderNacht-Sicht

Das Gewissen, insbesondere das gute, hat einen guten Ruf – zu Unrecht! Der politisch oder religiös motivierte Attentäter tötet genauso guten Gewissens wie diverse Staatsoberhäupter guten Gewissens töten lassen. Gewiss ist allenfalls die jederzeitige Dienstbarkeit dessen, was Gewissen genannt und atemzuggleich so getan wird, als ob jeder darunter das gleiche verstehen würde bzw. wollte.
Ohne allerletzte Gewissheit entscheide ich mich dafür, am liebsten guten Gewissens gewissenlos sein zu wollen.

 

Der „Spinner“ verdankt seine Bezeichnung einem Lebewesen, dessen Kunstfertigkeit allergrößte Bewunderung verdient. Klammer auf: Die von Friedrich Nietzsche so vehement und mit jedem Recht eines „allzu menschlichen“ Freigeists geforderte Umwertung der Werte und ihrer Ordnungen, auch und gerade in Gestalt der sie zum Ausdruck bringenden Worte, hat (nicht nur) nicht einmal begonnen; sie wird „nachhaltig“ und mit allergrößter Macht verhindert durch das Geschwätz von der Werte-Gesellschaft, vorgetragen von ihren heutigen Profiteuren aus Politik und Wirtschaft :Klammer zu.
So unbemerkt wie unwidersprochen wurde etwa aus dem Arbeiter der Arbeitnehmer, der – durchaus im Gegenteil – seine Arbeitskraft ja hergibt, während der Kapitalist (oder Fabrikbesitzer) zum Arbeitgeber umgelogen wurde, der – ebenfalls ganz im Gegenteil – die ihm angebotene Arbeitskraft zum jeweils ausgehandelten Marktpreis nimmt. Verkehrte Welt? Nein, verkehrte Werte!
„Worte muss man immer von neuem SICHTEN.“ Rahel Varnhagen (Hervorh. L. N.)